Woher kommt die Redewendung “Ein Ritt über den Bodensee”?
Stefan und sein Bruder Thomas sind in den Ferien zu Besuch bei ihrem Großvater. Wieder einmal stromern sie durch den Wald. Dann entdecken sie ein verlassenes Haus am Waldrand. Neugierig wie sie sind, gehen sie in das alte Haus hinein und erkunden die zahlreichen Zimmer. Das Haus wirkt ziemlich marode und scheint schon lange verlassen. Die Dielen quietschen gefährlich und doch wagen sie sich bis ganz nach oben auf den Dachboden. Dort finden sie eine alte Truhe mit vielen Spielsachen aus einer anderen Zeit. Was für ein aufregendes Abenteuer für die beiden Brüder.
Stolz präsentieren sie später ihrem Großvater ihren Fund. Am nächsten morgen lesen sie in der Zeitung: “Mann stürzt in baufälligem Haus am Waldrand vom Dachboden bis in den Keller”. Daraufhin sagt der Großvater zu Stefan und Thomas: “Das war gestern ein Ritt über den Bodensee.” Verwundert sehen sich die beiden an. “Wir waren doch gar nicht am See und darüber reiten kann man nicht.”
Die Redewendung “Ein Ritt über den Bodensee” wird verwendet, wenn man etwas sehr gefährliches gemacht hat und dies erst im nachhinein erkennt.
Die Redewendung geht auf die Ballade “Der Reiter und der Bodensee” vom deutschen Schriftsteller Gustav Schwab zurück.
Die Ballade handelt von einem Mann, der an einem Wintertag sehr schnell ans andere Ufer des Bodensees gelangen muss. Er möchte ein Schiff nehmen und mit diesem ans gegenüberliegende Ufer fahren. Aufgrund des schlechten Wetters kann er seinen Weg aber nur schwer erkennen. So kommt es, dass er, ohne es zu bemerken, über den zugefrorenen Bodensee reitet.
Am anderen Ufer angekommen, trifft er eine junge Frau. Er erzählt ihr von seinem Vorhaben und fragt, ob noch ein Schiff kommt. Darauf antwortet die Frau mit Entsetzen, dass er über den gefrorenen See geritten und bereits am anderen Ufer angekommen sei. Sie holt andere Bewohner herbei, um ihnen von dem erstaunlichen Ereignis zu berichten. Der See hat viele dünne Stellen und es sei ein Wunder, dass der Mann dies überlebt hat.
Als der Reiter begreift, in welch gefährliche Lage er sich gebracht hatte, fällt er vor Schreck tot vom Pferd.
Damals lasen viele Menschen diese spannende Ballade. Sie war so beliebt, dass daraus die Redewendung “Ein Ritt über den Bodensee” entstand.
Vollständige Ballade
Der Reiter und der Bodensee
Gustav Schwab
Der Reiter reitet durchs helle Tal,
Auf Schneefeld schimmert der Sonne Strahl.
Er trabet im Schweiß durch den kalten Schnee,
Er will noch heut an den Bodensee;
Noch heut mit dem Pferd in den sichern Kahn,
Will drüben landen vor Nacht noch an.
Auf schlimmem Weg, über Dorn und Stein,
Er braust auf rüstigem Roß feldein.
Aus den Bergen heraus, ins ebene Land,
Da sieht er den Schnee sich dehnen wie Sand.
Weit hinter ihm schwinden Dorf und Stadt,
Der Weg wird eben, die Bahn wird glatt.
In weiter Fläche kein Bühl, kein Haus,
Die Bäume gingen, die Felsen aus;
So flieget er hin eine Meil, und zwei,
Er hört in den Lüften der Schneegans Schrei;
Es flattert das Wasserhuhn empor,
Nicht anderen Laut vernimmt sein Ohr;
Keinen Wandersmann sein Auge schaut,
Der ihm den rechten Pfad vertraut.
Fort geht’s, wie auf Samt, auf dem weichen Schnee,
Wann rauscht das Wasser, wann glänzt der See?
Da bricht der Abend, der frühe, herein:
Von Lichtern blinket ein ferner Schein.
Es hebt aus dem Nebel sich Baum an Baum,
Und Hügel schließen den weiten Raum.
Er spürt auf dem Boden Stein und Dorn,
Dem Rosse gibt er den scharfen Sporn.
Und Hunde bellen empor am Pferd,
Und es winkt im Dorf ihm der warme Herd.
„Willkommen am Fenster, Mägdelein,
An den See, an den See, wie weit mag’s sein?“
Die Maid, sie staunet den Reiter an:
„Der See liegt hinter dir und der Kahn.
Und deckt’ ihn die Rinde von Eis nicht zu,
Ich spräch, aus dem Nachen stiegest du.“
Der Fremde schaudert, er atmet schwer:
„Dort hinten die Ebne, die ritt ich her!“
Da recket die Magd die Arm in die Höh:
Herr Gott! so rittest du über den See!
An den Schlund, an die Tiefe bodenlos,
Hat gepocht des rasenden Hufes Stoß!
Und unter dir zürnten die Wasser nicht?
Nicht krachte hinunter die Rinde dicht?
Und du wardst nicht die Speise der stummen Brut,
Der hungrigen Hecht in der kalten Flut?“
Sie rufet das Dorf herbei zu der Mär,
Es stellen die Knaben sich um ihn her.
Die Mütter, die Greise, sie sammeln sich:
„Glückseliger Mann, ja, segne du dich!
Herein, zum Ofen, zum dampfenden Tisch,
Brich mit uns das Brot und iß vom Fisch!“
er Reiter erstarret auf seinem Pferd,
Er hat nur das erste Wort gehört.
Es stocket sein Herz, es sträubt sich sein Haar,
Dicht hinter ihm grinst noch die grause Gefahr.
Es siehet sein Blick nur den gräßlichen Schlund,
Sein Geist versinkt in den schwarzen Grund.
Im Ohr ihm donnert’s, wie krachend Eis,
Wie die Well umrieselt ihn kalter Schweiß.
Da seufzt er, da sinkt er vom Roß herab,
Da ward ihm am Ufer ein trocken Grab.